«Decision-Making on Conditional Release and Probation in Switzerland»
(Entscheidungsfindung bei bedingter Entlassung aus dem Strafvollzug, Bewährungshilfe und Weisungen)
Laufzeit: 2016 - 2019
Projektleitung:
Prof. Dr. Jonas Weber
Prof. Dr. Jachen Nett (Fachhochschule für Soziale Arbeit, Bern)
Prof. Dr. Ineke Pruin
Projektteam:
Elke Wienhausen-Knezevic, Dipl.-Soz., LL.M. Crim.
Christoph Urwyler, lic.rer.soc.
Gefördert durch den Schweizerischen Nationalfonds
Erkenntnisziele
Die Studie untersucht die Entscheidungskriterien der Behörden bei der bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug und deren Umgang mit bedingt Entlassenen, die während der Probezeit gegen Bewährungsauflagen und Weisungen verstossen haben.
Die Studie soll Aufschluss darüber geben, wie die vom Gesetzgeber vorgegebenen Kriterien in der Entscheidungspraxis der Strafvollzugsbehörden, der Gerichte und der Bewährungsdienste ausgelegt und angewendet bzw. umgesetzt werden. Ferner soll aufgezeigt werden, inwiefern die Rechtsanwendung in Bezug auf verschiedene Straftätergruppen den Kriterien der Rationalität und Konsistenz genügt und wie sich schliesslich die zunehmende Standardisierung der Arbeitsprozesse und Methoden (z.B. im Rahmen des „risikoorientierten Sanktionenvollzugs“) auf die Entscheidungspraxis auswirkt.
Untersuchungsmethodik
Eine empirische Auseinandersetzung mit der behördlichen Entscheidungspraxis in Bezug auf bedingte Entlassung und Bewährungshilfe wurde für die Schweiz bislang nicht unternommen. Deshalb ist das Forschungsvorhaben explorativ und in Form eines Mixed-Method-Designs angelegt, d.h. es kombiniert qualitative und quantitative Datenerhebungs- und Auswertungsverfahren miteinander.
Im Zentrum steht eine umfassende Analyse von fast tausend Vollzugs‐ und Bewährungshilfeakten in den Kantonen Bern, Freiburg, Luzern und Waadt. Diese Kantone unterscheiden sich nicht nur in Bezug auf Grösse, Struktur und Sprachregion, sondern repräsentieren auch unterschiedliche Behördenstrukturen und Organisationsmodelle, so dass das Forschungsfeld in seiner möglichen Heterogenität erfasst werden kann.
Um die Aussagekraft der Ergebnisse zu erhöhen, werden unterschiedliche Datenquellen erschlossen und kommen verschiedene methodische Verfahren zum Einsatz: Anhand einer repräsentativen Auswahl von Vollzugs- und Bewährungshilfeakten (n=991) soll mit Hilfe von statistischen Analysen ein Überblick über das bis dato kaum erforschte Praxisfeld gewonnen werden. Diese Befunde werden mittels qualitativer Inhaltsanalysen von ausgewählten Dokumenten (z.B. Berichte und Stellungnahmen der an den Verfahren beteiligten Institutionen, Verfügungen der Vollzugsbehörden) weiter fundiert, um somit die Zuständigkeiten, den Ablauf und die Bestimmungsgrössen des Entscheidungsverfahrens bei bedingter Entlassung und Bewährungshilfe möglichst in ihrer ganzen Breite und Tiefe zu verstehen. Dabei werden die unterschiedlichen Akteure und deren individueller Ermessensspielraum grundlegend in den Blick genommen. Das Ziel der Auswertungen ist somit letztlich die Erstellung eines Rahmenmodells, das Aufschluss gibt über die kantonale Entscheidungspraxis bei bedingter Entlassung und Bewährungshilfe, bei Weisungs- und Auflagenverstössen und bei der Rückversetzungin den stationären Vollzug. Die ermittelten Ergebnisse werden im Rahmen von qualitativen Experteninterviews mit Verantwortlichen aus Vollzug und Bewährungshilfe diskutiert, um das Verständnis für Zusammenhänge und Abhängigkeiten bei der Entscheidungsfindung noch weiter zu vertiefen.
Bedeutsamkeit der Forschungsarbeit
Die juristisch-kriminologische Studie versteht sich als Beitrag zur Rechtstatsachenforschung, indem sie aufzeigt, wie die im Gesetz enthaltenen Bestimmungen in der Praxis interpretiert und umgesetzt werden. Im Justizvollzug hat die ambulante (Nach‐) Betreuung und Kontrolle von Straftätern bzw. Strafentlassenen in den letzten Jahrzehnten europaweit stark an Bedeutung gewonnen. Dem so genannten Übergangsmanagement vom stationären Vollzug in einer Anstalt über die bedingte Entlassung bis hin zum Leben nach Strafverbüssung wird sowohl in der Praxis als auch in der Wissenschaft in neuester Zeit grosse Beachtung geschenkt. Dieser Entwicklung hat die Forschung in der Schweiz bisher kaum Rechnung getragen. Daneben leistet die Studie einen Beitrag zur Decision Making‐Forschung, die sich international in den letzten Jahren zu einem eigenen Ansatz entwickelt und viele anschlussfähige Studien insbesondere zur Strafjustiz hervorgebracht hat.